
Markus Kaufmann
Geschäftsführer der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS
Markus Kaufmann
Geschäftsführer der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS
«Die Einzelfallhilfe von privaten Förderorganisationen wie der SGG soll und kann die staatliche Sozialhilfe nicht entlasten oder ersetzen. Sie ist eine wichtige Ergänzung, da sie in spezifischen Situationen einen grösseren Handlungsspielraum hat.»
Die SGG erhält von gemeindlichen Sozialfachstellen täglich Hilfsgesuche für Menschen, denen der Staat das Nötigste zum Leben nicht bezahlen kann. Dank Spenden kann die SGG rasch, unbürokratisch und effektiv Not lindern.
Kommunale Sozialfachstellen sind dem wachsenden Spardruck der Politik ausgesetzt. Darum stellen sie immer häufiger Gesuche an Förderstiftungen, damit diese ungedeckte Rechnungen von Sozialhilfebezügern bezahlen. Auch für Ausgaben, die laut Verfassung von den Gemeinden zu begleichen sind. Häufig erhält die SGG Gesuche zur Finanzierung von Fahrprüfungen oder Ausbildungen von Personen mit Flüchtlingsstatus, die schon 10 Jahre oder mehr in der Schweiz leben und Sozialhilfe beziehen und nie eine Fördermassnahme erfuhren. Oft könnten Sozialhilfeempfangende mit kurzen und preisgünstigen Ausbildungen in den Arbeitsmarkt integriert werden, zum Beispiel mit dem Kurs vom Schweizerischen Roten Kreuz zur PflegeassistentIn. Aber viele Gemeinden verwalten Armut lieber als sie aktiv zu bekämpfen.
Die SGG versucht Armut zu bekämpfen, indem sie nicht nur Mietschulden und Zahnbehandlungen, sondern immer öfter Aus- und Weiterbildungen finanziert, um dadurch die Chance auf eine Arbeitsstelle zu erhöhen. Die relativ bescheidenen Unterstützungsbeiträge erzielen eine hohe Wirkung. Mehrere Personen mit Migrationshintergrund konnten mit Hilfe der SGG im Jahr 2017 die Ausbildung zur Pflegeassistenz abschliessen, erhielten prompt Stellenangebote und konnten sich bei der Sozialhilfe abmelden. Eine Kongolesin konnte dank des von der SGG bezahlten SBB-Generalabonnements ihr in der Heimat begonnenes Wirtschaftsstudium fortsetzen und erhält dadurch intakte Berufsaussichten. Ein russischer Lastwagenchauffeur verlor seinen Führerschein. Die Wohngemeinde war nicht bereit, die Kosten für die Verkehrstherapiesitzungen zu übernehmen und zog es vor, dem Mann Sozialhilfe zu bezahlen. Die SGG sprang in die Lücke und der Mann wirkt inzwischen wieder als Chauffeur. Ein Sprachinstitut verlangte von einer Französisch-Lehrerin, die zu 30% Migranten unterrichtet, das Zertifikat als Erwachsenbildnerin. Die Kosten für den Kurs wurden vom Sozialamt nicht übernommen. Mit Hilfe der SGG konnte die Frau die Ausbildung erfolgreich absolvieren und erhielt eine feste Anstellung. Eine 16-jährige Frau aus Georgien, die an Muskelatrophie leidet, brauchte einen neuen Rollstuhl. Die kantonale Sozialversicherungsanstalt und mehrere Hilfswerke lehnten ihr Unterstützungsgesuch ab, nicht so die SGG. Ein 50-jähriger alleinstehender IV-Bezüger, der rund um die Uhr an einer Sauerstoffflasche hängt, konnte wegen hoher Spitalrechnungen mehrere Monate lang die Miete und den Strom nicht bezahlen. In der Folge stellte das Elektrizitätswerk in Lausanne den Strom ab, obwohl er für den Mann mit der Sauerstoffflasche lebenswichtig war. Die SGG übernahm die ausstehenden Stromkosten umgehend.
Die SGG kann diese effektive und effiziente Hilfe aber nur leisten, weil viele Menschen der SGG Spenden oder Legate anvertrauen.
Wenn das Geld nicht reicht
Corinne Strebel Schlatter
Wenn das Geld nicht reicht
So funktionieren die Sozialversicherungen und die Sozialhilfe
160 Seiten, Klappenbroschur, Fr. 19.–
1. Auflage, Oktober 2016 / ISBN 978-3-85569-997-1
Leben in finanzieller Not
Auch in der reichen Schweiz leiden viele Menschen unter finanziellen Engpässen. Der neue Beobachter-Ratgeber «Wenn das Geld nicht reicht» informiert über das Auffangnetz von Sozialversicherungen und Sozialhilfe. Rund acht Prozent der Schweizer Bevölkerung sind von Armut betroffen – darunter viele Alleinerziehende, Betagte und Personen ohne Berufsbildung. Der neue Beobachter-Ratgeber «Wenn das Geld nicht reicht», der in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft entstanden ist, gibt einen Überblick über das Netz der sozialen Sicherheit in der Schweiz und erklärt, wer Anspruch auf Sozialhilfe hat. Was tun, wenn man in eine finanzielle Notlage gerät? Ab wann darf man Sozialhilfe beziehen? Ist die Unterstützung in allen Kantonen gleich?
Corinne Strebel Schlatter, Autorin und Expertin im Beobachter-Beratungszentrum, beantwortet diese und weitere Fragen im Buch. Die Autorin zeigt auf, welche Wege aus dem finanziellen Engpass wieder hinausführen, und gibt Tipps, wie man mit wenig Geld den Alltag finanzieren kann. Musterbriefe und nützliche Links runden diesen hilfreichen Ratgeber ab.
Die Autorin
Corinne Strebel Schlatter ist ausgebildete Pflegefachfrau. Im Rahmen ihres Studiums in Sozialer Arbeit hat sie ein Jahr im Beobachter-Beratungszentrum gearbeitet und Fragen zu den Themen Schule, Erwachsenenschutz, Sozialhilfe und Familienrecht beantwortet. Daneben engagiert sie sich als Schulpflegepräsidentin.
Über die Beobachter-Edition
Die Beobachter-Edition ist ein Unternehmensteil der Beobachter-Verlagsgruppe bei Ringier Axel Springer Schweiz. Als grösster Ratgeberverlag der Schweiz publiziert sie in enger Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum der Zeitschrift Beobachter aktuelle Ratgeberbücher. www.beobachter.ch/buchshop
Zahnbehandlungen – ein Dauerbrenner
Ab einem bestimmten Grad der Behinderung finanziert die IV Zahn- und Kieferkorrekturen von Kindern. Doch in vielen Grenzfällen bezahlt die IV nicht, obschon Zahnkliniken einen Eingriff als unerlässlich beurteilen und dringend empfehlen. So erhielt die SGG auch 2014 wieder etliche Finanzierungsgesuche für Zahnsanierungen oder Zahnkorrekturen. Der SGG fehlt wie den meisten Vergabestiftungen das nötige zahnmedizinische Fachwissen, um solche Behandlungen und Kostenvoranschläge beurteilen zu können. Darum fordert die SGG neu – gemeinsam mit der Stiftung SOS Beobachter und in Absprache mit den Kantonszahnärzten – die Bestätigung durch einen Vertrauenszahnarzt, dass die geplante Behandlung den SKOS-Richtlinien entspricht sowie wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist. Erst wenn dieses Gutachten vorliegt, leistet die SGG einen finanziellen Beitrag. Dadurch verhindert die SGG, dass sich Zahnärzte mit unnötigen Schönheitsoperationen an Sozialhilfeempfängern bereichern.
Mit Bildung in die Zukunft investieren
Bei manchen Hilfsgesuchen kann die SGG mit einem Geldbetrag lediglich eine momentane Notsituation überbrücken. Mit einer Spende kann die SGG beispielsweise Mietrückstände bezahlen und dadurch verhindern, dass eine Familie mit kleinen Kindern aus der Wohnung geworfen wird. Aber die Not bleibt bestehen. Und es wird zu weiteren Gesuchen bei irgendwelchen Stiftungen kommen. Umso erfreulicher sind Meldungen über Situationen, wo die SGG Menschen nachhaltig aus der Not helfen konnte. Eine 56-jährige Verkäuferin fand beispielsweise trotz intensiver Bemühungen keine Stelle mehr, wurde ausgesteuert und musste schliesslich Sozialhilfe beziehen, was sie in der Folge auch psychisch stark belastete. Da sie gerne mit Menschen arbeitete und eine grosse Nachfrage nach Pflegepersonal besteht, entschloss sie sich zu einem Pflegehelferinnenkurs vom Schweizerischen Roten Kreuz. Die dazu nötigen 2100 Franken konnte oder wollte die Sozialhilfe nicht aufbringen. Also sprang die SGG ein. Inzwischen absolviert die Frau ein Praktikum in einem Altersheim und hat dort gute Chancen auf eine Festanstellung. Ihr Selbstwertgefühl wurde gestärkt, sie knüpfte neue Kontakte und wird finanziell bald auf eigenen Füssen stehen. Gerade im Ausbildungsbereich bewirken relativ geringe Beträge effektive und nachhaltige Entwicklung. Mobilität schafft soziale Integration Politiker profilieren sich in den Medien gerne mit Slogans wie «Sozialhilfebezüger sollen kein Auto besitzen». Dass es da und dort fragwürdige Investitionen gibt, bestreitet niemand. Aber in einigen Berufen hat man ohne ein Auto keinerlei Chance, jemals wieder eine Arbeitsstelle zu finden. Und bei IV-Beziehenden ist die Mobilität ein unverzichtbarer Wert. Menschen mit einem permanenten Handicap bewahren mit einem Auto ihre Unabhängigkeit und können weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Die SGG finanzierte zusammen mit ein paar Stiftungen beispielsweise den Kauf eines Autos für eine sechsköpfige Familie, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten war.
Im Jahr 2011 wurde bei der 36-jährigen Mutter eine neurogenetische Krankheit diagnostiziert, die einen kontinuierlichen Muskelabbau bewirkte. Dieselben Symptome tauchten im Jahr 2014 auch bei der fünfjährigen Tochter auf. Die Mutter benötigte Gehhilfen und konnte sich ausserhalb des Hauses nur noch im Rollstuhl bewegen. Die Familie musste in eine behindertengerechte Wohnung umziehen und ein Auto anschaffen, mit dem auch Rollstühle transportiert werden können.
Für solche Ausgaben bezahlt weder der Staat noch irgendeine Versicherung. Die SGG schrieb zusammen mit SOS Beobachter Briefe an die verschiedenen Vertreter der Automobilbranche, um diese zur Schaffung eines Fonds für solche Notfälle anzuregen. Doch die ESA (Einkaufsorganisation des Schweizerischen Auto- und Motorfahrzeuggewerbes) sowie Auto-Schweiz und AUTO ALLIANZ bestätigten nicht einmal den Empfang der Briefe.