30. November 2022

Freiwillige begleiten Geflüchtete und ihre Gastfamilien

Zwischen dem Kriegsausbruch in der Ukraine und heute sind über 70’000 Menschen aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet. Das schweizerische Asylsystem ist nicht darauf ausgerichtet, so viele Menschen in so kurzer Zeit aufzunehmen. Darum wurde einerseits der Status S aktiviert. Dieser ermöglicht einen raschen Zugang zu Schutz, ohne dass die Betroffenen ein aufwändiges Asylverfahren durchlaufen müssen. Andererseits hat sich die SFH in Zusammenarbeit mit Campax um die Vermittlung von privaten Gastfamilien als Alternative zu Kollektivunterkünften bemüht. Heute sind rund 40% der Geflüchteten aus der Ukraine bei Gastfamilien untergebracht.

Das Community Building Projekt ergänzt die kantonalen Strukturen

Bei den allermeisten Gespannen von Gastfamilien und Geflüchteten funktioniert das Zusammenleben gut. Zahlreiche Kantone haben Leistungsverträge mit Hilfswerken wie Caritas oder dem SRK abgeschlossen und diese Organisationen mit der Betreuung der Gastfamilien beauftragt. «Das Community Building Projekt der SFH wurde ins Leben gerufen, um diese Betreuung zu ergänzen. Und zwar mit einem System, welches insbesondere die Geflüchteten in Alltagssituationen unterstützen und dadurch die Gastfamilien entlasten soll», erklärt Projektleiter und Experte für Freiwilligenarbeit bei der SFH Siméon Seiler. Das Projekt wird ausser von der SGG auch noch von der Palatin- und der Mercator-Stiftung finanziert.

Freiwillige werden vernetzt

Motivierte Freiwillige, egal ob als Einzelpersonen oder Gruppen, welche Geflüchtete und Gastfamilien begleiten wollen, können sich noch bis Mitte Dezember via Onlineformular bei der SFH melden. Die SFH unterstützt die Freiwilligen dabei, allenfalls weitere Freiwillige zu finden und mit Geflüchteten und ihren Gastfamilien in Kontakt zu treten.

Die Freiwilligengruppen bleiben dabei unabhängig von der SFH und organisieren sich weitgehend autonom. Die SFH stellt, um die Selbstorganisation der Freiwilligengruppen zu fördern, verschiedene Tools in einer Werkzeugkiste zur Verfügung. Darin verlinkt ist etwa die Infobox Migration des SRK. Ein zentraler Wert des Community Building Projekts ist die Bedürfnisorientierung im Dreieck Geflüchtete–Gastfamilien–Freiwillige. Es sollen keine Angebote entstehen, die an den Bedürfnissen der involvierten Parteien vorbei zielen. Um die Bedürfnisse sauber zu eruieren, schlägt die SFH darum in einem Merkblatt eine konkrete Methode vor. Ausserdem bietet sie Freiwilligengruppen ein auf ihre Situation zugeschnittenes Coaching an, welches Siméon Seiler konzipiert und durchführt. «Die Freiwilligen werden zusätzlich zum Coaching ermuntert, spezifisch konzipierte Weiterbildungen zu besuchen, die wir für sie bis Ende 2023 kostenlos zur Verfügung stellen», so Seiler.

Zwei Beispiele zeigen den Wert des Community Building-Projekts:

Arbeits- und Wohnungssuche in Bern prioritär

Aus Bern hat sich ein Paar bei der SFH gemeldet, welches bereits im März 2022 eine Kleinfamilie bei sich aufgenommen hat. Das Verhältnis zwischen dem Gastgeberpaar und Mutter, Vater und Kind aus der Ukraine ist gut. Es besteht kein dringlicher Grund, dass die Geflüchteten schnell wieder ausziehen müssten. Aber das Gastgeberpaar ist etwas erschöpft und die Verständigung zwischen den fünf Personen gestaltet sich auf Grund der Sprache schwierig. Während das Kind sich gut eingelebt und Freude an der Schule hat, sind die Eltern davon ausgegangen, rasch wieder in die Ukraine zurückkehren zu können. Der Fokus lag darum nicht auf dem Spracherwerb oder der Arbeitssuche.

Diesem Gespann konnte die SFH zwei Freiwillige zur Seite stellen, die sich als Einzelpersonen gemeldet hatten. Bei einem ersten Treffen zwischen den Gastgeber:innen, den Geflüchteten und den Freiwilligen war Niki Ott, Projektmitarbeiterin des Community Building Projektes, dabei. Schnell einigten sich die Involvierten darauf, dass die Suche nach einer Arbeit (oder einer anderen Beschäftigung, um eine Tagesstruktur zu haben) und die Wohnungssuche Priorität haben müssten. Die beiden Freiwilligen unterstützen die Geflüchteten seither selbstständig und entlasten dadurch das Gastgeberpaar. Die SFH steht den Freiwilligen weiterhin beratend zur Seite.

Internationale Grossgruppe statt nachbarschaftliche Kleingruppen in Genf

Aus Genf haben sich anfänglich drei Einzelpersonen gemeldet, die sich für die Geflüchteten aus der Ukraine und ihre Gastfamilien engagieren wollen. Von Anfang war klar, dass sie einen etwas anderen, aber ebenso wertvollen Weg nehmen möchten: Sie wollten sich etwas mehr Zeit nehmen, sich untereinander kennen lernen und sind motiviert, eine nachhaltige Struktur aufzubauen, bevor sie sich mit Gastfamilien und Geflüchteten treffen.

In der Zwischenzeit ist die Gruppe gewachsen auf rund 10 Personen zwischen 20 und 70 Jahren, mit Wurzeln in Ägypten, Äthiopien, Mazedonien, Iran, den USA und der Schweiz! Ein Teil dieser Personen hat selbst Fluchterfahrung. Sie wollen ihre Erfahrungen in die freiwillige Arbeit einbringen, um die «frisch» angekommenen Geflüchteten zu unterstützen. Die Genfer Gruppe trifft sich jeden Donnerstagabend. Die SFH begleitet sie bei strategischen Überlegungen und der Ausarbeitung einer Freiwilligen-Charta, die sich die Gruppe geben will. Die Genfer-Gruppe will gegen Ende Jahr eine Kick-off Festtags-Party für interessierte Geflüchtete und ihre Gastfamilien organisieren.

Positive Zwischenevaluation und Überlegungen zur Zukunft

Die SFH ist mit grosser Offenheit an das Community Building Projekt herangegangen, welches bewusst als Pilotprojekt formuliert wurde. Unterschiedliche Entstehungsgeschichten von Freiwilligengruppen haben ebenso Platz wie unterschiedliche Formen oder Dauer des Engagements. In Kantonen, in welchen bereits exzellente Freiwilligenarbeit durch andere Organisationen geleistet wird, hat die SFH interessierte Freiwilligen an bestehende Programme verwiesen. In mehreren Kantonen gibt es Hinweise auf ein Interesse an Unterstützung im Aufbau von Freiwilligennetzwerken rund um Gastfamilien. Welche Rolle die SFH darin in Zukunft spielen soll wird bald definiert.

Das Pilotprojekt läuft noch bis zum 31. Januar 2023. Die Ziele «Stärkung der Freiwilligenarbeit/Empowerment der Freiwilligen» und «Stabilisierung der Beziehungen von ukrainischen Geflüchteten und ihren Gastfamilien» bleiben so oder so zentrale Anliegen der SFH .