23. April 2024

Rund ums Rütli: Sechs Fragen an SGG-Präsident Nicola Forster

Nicola Forster, der Nationalrat stimmte der Motion Aeschi knapp zu. Dies, obwohl der Bundesrat eine ablehnende Antwort gab und darauf hinwies, dass das ursprüngliche Anliegen mit der Motion nicht gelöst werden könne. Was löst das bei Ihnen aus?

SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi ist es offensichtlich gelungen, andere von seinem Anliegen zu überzeugen. Uns im SGG-Vorstand gibt der angestrebte Bruch mit dem seit 1860 geltenden Vertrag natürlich zu denken. Wir werden sicher das Gespräch mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern suchen, um genauer zu verstehen, wie es zu diesem Entscheid kam.

Was bedeutet der Entscheid für die SGG?

Das eine ist die symbolische Ebene: Das Signal, das der Nationalrat gesetzt hat, nehmen wir ernst. Wir möchten es nachvollziehen können, und sind offen für den Dialog. Wir werden auch sehr gerne die von Bundesrätin Karin Keller-Sutter ausgesprochene Einladung zum Kaffee wahrnehmen.

Das andere ist, was die Motion konkret betrifft: Da geht der Prozess nun in die nächste Runde. Der Bundesrat hat sich ablehnend zur Motion geäussert, der Nationalrat war knapp dafür. Als nächstes wird nun der Ständerat befinden. Die Demokratie soll nun ihre Wege gehen. Der Bundesrat hat allerdings klar gemacht, dass die einseitige Kündigung der Vereinbarung zwischen Bund und SGG nicht dazu führen würde, dass die Rütli-Verwaltung an den Bund geht.

Können Sie die Kritik am Umstand, dass die SGG das Rütli verwaltet, nachvollziehen?

Was mich persönlich stört, ist die oft wiederholte Äusserung, der Staat müsse «das Rütli wieder zu sich zurücknehmen». Gerne möchte ich in Erinnerung rufen, dass es die SGG war, die 1859 das Rütli gekauft hat, um es vor einer Hotelüberbauung zu retten. Die SGG wollte die «Wiege der Eidgenossenschaft» für die Allgemeinheit erhalten, und hat sie deshalb 1860 dem Bund geschenkt. Als Bedingung wurde in der Urkunde festgehalten, dass das Rütli im Gegenzug von der SGG verwaltet wird. Seither – also seit mehr als 160 Jahren! – wird das so gehandhabt. Eine stolze Tradition: Das Rütli war entsprechend noch gar nie durch den Bund verwaltet, sondern immer zivilgesellschaftlich. Es ist interessant, dass ausgerechnet ein SVP-Vertreter nun die Verstaatlichung der Rütli-Verwaltung fordert.

Die SGG musste als Rütli-Verwalterin übrigens auch schwierige Zeiten bewältigen; wie beispielsweise in den 2000er-Jahren, als es Aufmärsche von Rechtsextremen und gar eine Detonation an der 1. August-Feier gab.

Das Rütli gehört also fest in die Hände der SGG?

Als SGG teilen wir die Auffassung, dass das Rütli der Allgemeinheit gehört und unbedingt ein Rütli für alle sein soll. Die SGG verwaltet das Rütli lediglich, tut dies aber sehr gewissenhaft. Sie kümmert sich beispielsweise auch um die Wahl des Pächters (Landwirtschaft und Restaurant) oder das Musée Grütli. Sie richtet nicht nur jedes Jahr die dortige Bundesfeier mit bis zu 2000 Teilnehmenden gratis für die Öffentlichkeit aus, sondern – und daran stört sich Thomas Aeschi offenbar – lädt als Organisatorin auch die Rednerinnen und Redner der Bundesfeier ein. Dies steht in der Tradition der 1. August-Feiern in der ganzen Schweiz, die ja auch nicht «von oben» zentral organisiert werden. Die von Herrn Aeschi beklagte Einseitigkeit in unserer Auswahl erkenne ich nicht: Wir hatten und haben in den letzten Jahrzehnten ganz unterschiedliche Rednerinnen und Redner. Zudem organisieren wir die Feier immer in Zusammenarbeit mit spannenden Organisationen, von Pro Juventute zur Blaukreuz-Bewegung; der Schweizerische Fussballverband war ebenso Mitorganisator wie der Schwingerverband oder die Frauenorganisation Alliance F.

Uns ist es ein explizites Anliegen, verschiedenen Stimmen eine Bühne zu geben. Die Kritik eines «links-progressiven Kurses» zielt ins Leere: In meiner Amtszeit haben wir Bundesrätinnen und Bundesräte aus allen bürgerlichen Parteien eingeladen, darunter beide SVP-Bundesräte. Sie haben uns leider beide abgesagt, sind aber auch in Zukunft willkommen. Wir pflegen ein gutschweizerisches, anständiges Miteinander. Dafür muss man selbstverständlich nicht immer die gleiche Meinung haben.

Was schliessen Sie daraus?

Wer das Rütli verwaltet und die Bundesfeier ausrichtet, ist öffentlichen Stürmen ausgesetzt – das war auch schon unter bürgerlichen Vorgängerinnen und Vorgängern so. Das Rütli ist eben nicht «nur eine Wiese mit Kuhdreck», wie sie vom damaligen SVP-Parteichef Ueli Maurer mal bezeichnet wurde. Persönlich dünkt mich aber, dass die Frage der 1. August-Rednerinnen und -Redner – wohlbemerkt an einer von unzähligen Bundesfeiern im ganzen Land – durch die Motion Aeschi einen allzu grossen Stellenwert erhält.

Ihre Amtszeit endet an der kommenden SGG Gesellschaftsversammlung im Juni. Ein neuer Präsident resp. eine neue Präsidentin wird dann gewählt. An dieser GV befinden die Mitglieder auch über eine Statutenrevision und die Frage, wie die SGG mit den sistierten Mitgliedschaftsanträgen umgehen wird. Das heisst folglich, dass die Personen mit hängigen Mitgliedschaftsanträgen nicht mitentscheiden können?

Gemäss Statuten werden nur bestehende Vereinsmitglieder teilnehmen können. Da es diesbezüglich viele Missverständnisse und auch Vermischungen mit dem Rütli-Thema gibt, möchte ich kurz erläutern, weshalb die Anträge sistiert werden mussten: Die hunderten kurz vor der letzten GV eingegangenen Mitgliedschaftsanträge u.a. von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sowie des in der Coronapandemie entstandenen Kampagnenteams «Team Freiheit» deuteten klar auf eine politische Mobilisierung hin. Es war offensichtlich eine Vereinnahmung des Vereins zu befürchten, und der Vorstand musste sämtliche Anträge sistieren, um die Organisation zu schützen. Diese Verantwortung liegt gemäss Statuten in seiner Kompetenz. Dabei wurden natürlich alle Mitgliedschaftsgesuche gleich behandelt, egal von welcher weltanschaulichen Seite sie kamen.

Wie von den Mitgliedern beschlossen, wurde zur Statutenrevision eine Arbeitsgruppe eingesetzt, wobei aufgrund der Ereignisse anlässlich der letzten GV natürlich insbesondere auch die Frage der sistierten Mitgliedschaften intensiv behandelt wurde. Dabei hatten v.a. die regionalen Gemeinnützigen Gesellschaften eine starke Stimme; ich selber war nicht Teil dieser Arbeitsgruppe. Diese Arbeitsgruppe kam zwischenzeitlich mehrfach zusammen und führte auch eine breite Mitgliederkonsultation durch, bei der selbstverständlich auch alle kritischen SGG-Mitglieder eingeladen waren und sich einbrachten. Über den erarbeiteten Vorschlag der Arbeitsgruppe werden die Mitglieder demokratisch an der kommenden GV entscheiden.

Jetzt wünschen sich alle, dass die SGG sich auf ihre wichtige gesellschaftliche Aufgabe fokussieren kann. Die Frage der 1. August-Rednerinnen und -Redner deckt nämlich nur einen kleinen Teil ihres Wirkens mit zahlreichen, gemeinnützigen Programmen und Projekten ab.

(Interview: Annette Schär)