4. April 2019

Freiwilligenarbeit: 7 von 10 gehen Nachbarn an die Hand

Nachbarschaftliche Hilfe versteht sich aber nicht kompensatorisch, sondern ergänzend zur Hilfe durch Familienangehörige und Freunde sowie zu Unterstützungsleistungen durch den Staat und durch Organisationen der Zivilgesellschaft. Nachbarschaftliche Beziehungen und Unterstützung soll und kann aber nicht dazu dienen, Akzente gegen den bröckelnden Kitt der Gesellschaft zu setzen.

Sabine Fromm und Doris Rosenkranz haben in der Stadt Nürnberg die Strukturen, Bedingungen und Potenziale der informell-privat-nachbarschaftlichen Unterstützung sowie das Potenzial für die soziale Kohäsion untersucht. Doris Rosenkranz wird am 13. Juni 2019 auch an der SGG-Tagung in St. Gallen darüber berichten. Während Befragungen mehrerer Länder aufzeigen, dass 40 bis 50 Prozent der Personen über 15 Jahren regelmässig Freiwilligenarbeit leisten, gaben 70 Prozent der Befragten dieser Studie an, in den letzten 12 Monaten mindestens einmal ihre Nachbarn mit Hilfeleistungen unterstützt zu haben. Von den übrigen 30% ist die Hälfte bereit, speziell älteren Menschen in der Nachbarschaft Hilfe anzubieten. Diese umfasst unterschiedlichste Formen: Informationsaustausch bezüglich Institutionen im Quartier, Einkaufen für Erkrankte, Kinder hüten und Babysitten, Aushelfen mit Kleinigkeiten (Lebensmittel, Werkzeug), gemeinsam essen, Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfeunterricht, Briefe schreiben, Formulare ausfüllen, Fahrdienste oder Begleitung (zum Arzt oder zu Behörden), Krankenbesuche, kochen, putzen, Wäsche machen, Hilfe bei Gartenarbeiten, Schneeschaufeln, kleine Reparaturen, Briefkasten leeren, Pakete annehmen bei Abwesenheit, versorgen von Haustieren oder Pflanzen bei Abwesenheit oder Hilfe in Notsituationen. Fehlende nachbarschaftliche Unterstützung hat nicht primär mit fehlender Bereitschaft zu Hilfe zu tun, sondern liegt an einem Mangel an Gelegenheiten und an der fehlenden Kenntnis von Unterstützungsbedarf. Personen, die formelle Freiwilligenarbeit leisten, sind eher bereit, informelle Freiwilligenarbeit zu leisten oder anzunehmen. Gleichzeitig leisten 17% der Befragten informelle Freiwilligenarbeit und würden keine formelle Freiwilligenarbeit leisten. Das Potenzial ist bei Personen mit Migrationshintergrund besonders hoch. Personen, die grundsätzlich nicht bereit sind für die Leistung oder Annahme von Hilfe in der Nachbarschaft, zeigen die Grundspannung des nachbarschaftlichen Lebens auf: zwischen Bedürfnis nach Privatsphäre und nach positiver Gemeinschaftlichkeit.

Sabine Fromm, Doris Rosenkranz
Unterstützung in der Nachbarschaft.
Struktur und Potenzial für gesellschaftliche Kohäsion.

Springer VS, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-22322-9, 180 Seiten, CHF 73.90