21. Juli 2022
Kämpferin für Gleichberechtigung und gesellschaftlichen Zusammenhalt: SGG-Präsidentin Judith Stamm (†2022)
Judith Stamm nahm kein Blatt vor den Mund und bot die Stirn, wo sie Ungerechtigkeit sah. «Heute noch sehen wir die pionierhaften Errungenschaften von Judith Stamm in der SGG und entwickeln diese mit grosser Dankbarkeit weiter», so Nicola Forster, Präsident der SGG. Als SGG-Präsidentin musste sich Judith Stamm vor allem stark exponieren, wenn es darum ging, die Rütliwiese vor ideologischer Instrumentalisierung zu schützen und sie als Ort der Integration zu bewahren. In turbulenten Zeiten musste sie vor den Medien die Einschränkung des Zutritts zum Rütli begründen. Als ehemalige Frau Oberleutnant bei der Luzerner Polizei hatte sie dafür Fingerspitzengefühl und Klarheit und begrüsste zahlreiche hochrangige Gäste an den Bundesfeiern auf dem Rütli. Der damalige SGG-Geschäftsleiter Herbert Ammann erinnert sich: «Trotz Warnungen suchte Judith das Gespräch. Sie vereinbarte mit einem Vertreter von Rechtsextremen eine Sitzung und folgte damit ihrem menschlichen und politischen Credo.» Als sie nach einer halben Stunde realisierte, dass das Gegenüber nicht dialogbereit war, beendete sie das Gespräch. Dies sei für sie schwierig gewesen, habe ihrer Beharrlichkeit, den Dialog zu suchen, jedoch keinen Abbruch getan.
Viel Einsatz für die Freiwilligenarbeit
Ihr Herzblut galt der Gleichberechtigung der Frauen, der Stärkung der Demokratie und der Gerechtigkeit. Nebst ihrem Einsatz für alle SGG-Themen, platzierte sie 2001 die Freiwilligenarbeit ganz oben auf der SGG-Agenda. Sie übernahm neben dem SGG-Präsidium auch das Präsidium zum internationalen Jahr der Freiwilligenarbeit (iyv) – zusammen ein ehrenamtliches Engagement von gegen 80 %. «(Freiwilligenarbeit) ist wichtig für die Schweiz. Denn in unserem Land funktionieren grosse Teile der Gesellschaft vor allem durch freiwilliges Engagement und Miliztätigkeit», betonte Judith Stamm ihr Engagement in der Zeitschrift Zeitlupe. Aus dem Jahr resultierte das SGG-Programm Forschung Freiwilligenarbeit, welches unter anderem 2007 den ersten Freiwilligenmonitor publizierte. Mittlerweile ist der vierte Freiwilligenmonitor erschienen, was das prägende Wirken von Judith Stamm zeigt. Das heutige SGG-Vorstandsmitglied Cornelia Hürzeler hat mit Judith Stamm das Freiwilligenjahr 2001 mitgeplant und erinnert sich an die Sitzungen: «Sie war immer offen für Ideen, auch ausgefallene. Dabei kommunizierte sie ihre Meinung immer klar und direkt, gleichzeitig mit viel Wertschätzung. Das hat sie ausgezeichnet.»
Zivilcourage und Mut
Judith Stamm war nicht nur die erste Frau an der Spitze der SGG, sie war auch die erste Person, die nicht aus dem Kanton Zürich stammte. Damit leistete sie wertvolle Vernetzungsarbeit über bestehende Kreise hinweg und positionierte die SGG als Brückenbauerin und Dialogpartnerin. Judith Stamm hat für die Generationen der Frauen nach ihr viel erreicht und mit ihrem Mut Möglichkeiten geschaffen, die heute oft als selbstverständlich gelten. «Zivilcourage zu leben, einzustehen für die Gleichberechtigung und dabei auch Federn zu lassen – diesen Mut habe ich immer bewundert», schaut Cornelia Hürzeler zurück. Wegbegleiter und SGG-Vorstandsmitglied Martin Hofer: «Judith war die erste politische Feministin in der Schweiz, das haben ihr viele konservative Männer übelgenommen. Gleichzeitig interessierte sie sich sehr für die damals ‚traditionelle Männerwelt‘, beispielsweise in ihrem Beruf bei der Polizei oder als Fussballfan. Mit ihr einen Match im Stadion zu schauen, war ein Erlebnis.»
Auch nach der Präsidialzeit mit der SGG verbunden
Judith Stamm blieb bis zu ihrem Tod mit der SGG verbunden und hat das Wirken mit Interesse verfolgt. Die ganze SGG wird Judith als unaufgeregte, aber beharrliche Kämpferin, die sich immer für die Schwachen in der Gesellschaft eingesetzt hat, als strahlendes Vorbild in Erinnerung behalten.
Wir wünschen den Angehörigen und Judiths engen Freundinnen und Freunden im Namen der ganzen SGG-Familie von Herzen Trost und Kraft.
Keine öffentliche Trauerfeier
Auf Wunsch der Verstorbenen findet keine öffentliche Trauerfeier statt. Alle, die Judith Stamm gedenken wollen, mögen an einem speziellen Ort innehalten und ihr für das reiche Wirken und die persönlichen Begegnungen danken. Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern aus der SGG haben sich zusammengefunden, um Judith Stamm bei einer kleinen privaten Feier zu gedenken.
Für Spenden im Sinne der Verstorbenen berücksichtigen Sie (Vermerk: «Judith Stamm»):
Frauenhaus Luzern, z.G. «Für die Kinder im Frauenhaus»; IBAN CH42 0900 0000 6001 6234 9
Haus Hagar, St. Anna-Stiftung; IBAN: CH63 0900 0000 6002 2667 0
Foto: Judith Stamm, Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und der Rütlikommission, spricht während der Pressekonferenz vom Donnerstag, 20. April 2006 im Hotel Balances in Luzern. (KEYSTONE/Urs Flueeler)