27. Mai 2020
Freiwilligen-Management und Freiwilligen-Koordination
Lamprecht widerlegte in seinem Referat vier verbreitete Aussagen zur Freiwilligenarbeit: Die Freiwilligen nehmen stetig ab; Freiwillige werden zunehmend entschädigt; materielle Entschädigungen werden zunehmend zu einem Motivationsfaktor der Freiwilligenarbeit; und das Potenzial der Freiwilligen ist beschränkt.
Stefan Güntert, Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), zeigte auf, wie sich Rekrutierung und Führung, Begleitung und Wertschätzung von unbezahlten Freiwilligen unterscheiden von der Führung bezahlter Mitarbeitender. Weil Freiwillige ein hohes Bedürfnis nach Autonomie, Gemeinschaft und Erweiterung von Kompetenzen haben, ist im Freiwilligen-Management der sensible Umgang mit Diversität, Partizipation, Werten, Konflikten und Anreizen sowie das Aufzeigen von Wirkung der Freiwilligenarbeit besonders wichtig.
SGG-Geschäftsleiter Lukas Niederberger leitete ins Thema Freiwilligen-Management mit Resultaten einer Befragung bei 328 Fachpersonen im Freiwilligenbereich ein. In Klammern stehen die Zahlen über Freiwilligen-Organisationen in der Suisse Romande:
- 72% (87%) verfügen über eine professionelle Freiwilligen-Koordination;
- 64% (77%) verfügen über ein Konzept für Freiwilligenarbeit;
- 73% (81%) integrieren Freiwilligenarbeit in ihre Organisationsstrategie;
- 60% (74%) treffen mit Freiwilligen eine Einsatzvereinbarung.
Die Befragung der SGG ergab drei weitere Erkenntnisse bezüglich Freiwilligen-Management:
- Das erfolgreiche Matching zwischen Freiwilligen und Begünstigten, die Vermittlung von sinnvollen Aufgaben sowie die Anerkennung und Wertschätzung der Freiwilligenarbeit sind am wichtigsten;
- Jahresessen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Spesenvergütungen tragen am meisten zur Wertschätzung von Freiwilligen bei;
- Neue Freiwillige werden vor allem durch andere Freiwillige und durch Mitarbeitende der Organisationen sowie durch Angehörige und Freunde der Freiwilligen gewonnen, am wenigsten durch TV, Radio und Presse, durch Arbeitgeber der Freiwilligen und durch staatliche Akteure (Gemeinden und Schulen).
In fünf Workshops berichteten Fachpersonen über das Freiwilligen-Management in unterschiedlichen Bereichen: im Sport- und Kulturbereich, im Gesundheits- und Altersbereich, im gesellschaftspolitischen Bereich und im Jugendbereich. In den Workshops wurde auch über die Integration der Freiwilligenarbeit in die Strategie der Organisationen ausgetauscht. In den Organisationen aller Bereiche wollen Freiwillige persönlich angesprochen werden, ihre Interessen und Kompetenzen einbringen, zeitlich flexibel wirken, ihre Kompetenzen erweitern, ernst genommen und wertgeschätzt werden.
Dass die Tagung wegen Corona vom Juni auf den September verschoben werden musste, hatte den Vorteil, dass der letzte Teil der Tagung dem Thema «Freiwilligenarbeit in der Corona-Krise» gewidmet wurde. Stefan Güntert präsentierte erste Zahlen einer laufenden Umfrage der FHNW bei 135 Freiwilligenorganisationen:
- 85% der Aktivitäten mussten wegen der COVID-Regeln unterbrochen werden;
- 62% der Freiwilligen gehörten einer Risikogruppe an und mussten ihre Einsätze beenden;
- 21% der Organisationen erfuhren eine Abnahme der Nachfrage an ihren Dienstleistungen
- 48% der Organisationen haben in der Corona-Zeit neue Aufgaben übernommen.
Konstantin Kehl zeigte anschliessend erste Resultate einer Befragung der ZHAW bei 200 Organisationen in der Deutschschweiz auf: Die öffentliche Aufmerksamkeit und das Gehör der NGOs sind in der Corona-Zeit in Politik und Wirtschaft gewachsen. Zudem haben die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen ähnlich wie wirtschaftliche Unternehmen und Schulen durch Corona einen Digitalisierungs-Schub erlebt.
Den Abschluss der Tagung bildete ein Podium über die Online-Vermittlung von Freiwilligen während des Corona-Lockdown: Baptiste Udriot von «suisseresponsable.ch», Vivien Jobé von «hilf-jetzt.ch» und Maximiliane Basile von «Five up» waren sich einig, dass Bund und Kantone sich in Zukunft nicht nur mit genügend Beatmungsgeräten, Schutzmasken und Desinfektionsmitteln auf Krisen vorbereiten sollten, sondern auch mit digitalen Tools, mit denen man schnell und effizient die Bevölkerung erreicht und Hilfeleistungen koordinieren kann.