16. Dezember 2016
Die Kunst des Spendens
Die SGG erforscht und fördert seit 15 Jahren landesweit die Freiwilligenarbeit. Rund 50% der Personen in der Schweiz stellen ihre Ressourcen Zeit, Wissen und Erfahrung in der Freiwilligenarbeit dem Gemeinwohl zur Verfügung. Neben der Freiwilligenarbeit untersucht der von der SGG herausgegebene Freiwilligenmonitor auch das freiwillige Fördern von gemeinnützigen Organisationen mit Geld. Laut Freiwilligenmonitor spenden 71% der Personen über 15 Jahren in der Schweiz regelmässig Geld für gute Zwecke. Diese Zahl deckt sich mit den Befragungen, die jeweils von der ZEWO, von den grossen Hilfswerken, vom Berufsverband der Fundraiser sowie vom Meinungsforschungsinstitut GfS durchgeführt werden.
Motive zwischen Altruismus und Kalkül
Spenderinnen und Spender stellen ihr Geld aus unterschiedlichen Motiven zur Verfügung: 86% drücken damit ihre Dankbarkeit für das eigene Wohlergehen aus, 85% erhalten beim Spenden ein gutes Gefühl, 72% wollen eine Wirkung erzielen und ebenso viele Personen spenden aus Überzeugung gegenüber der Sache und dem Hilfswerk. 65% drücken mit der Spende ihre Solidarität mit anderen aus, 37% wären selber froh, wenn sie in der Not Hilfe erhalten würden, 28% sind vom sozialen Umfeld betroffen, 22% spenden aus Mitleid und 13% aus Glaubensgründen. Kritische Stimmen wenden ein, dass manche Menschen Geld spenden, um damit ihren Reichtum moralisch zu legitimieren oder um sich nach US-amerikanischem Muster berufliche Vorteile sowie Zugang zu einer gesellschaftlichen Elite zu verschaffen. Bei manchen Mäzenen von Opernhäusern und Zoologischen Gärten kann man sich tatsächlich nur schwerlich des Eindrucks erwehren, dass sie aus einer Mischung von Narzissmus und Zugehörigkeitsbedürfnis primär an den glamourösen Benefiz-Veranstaltungen der Non-profit-Organisationen interessiert sind. Das Spenden von Geld setzt wie die Freiwilligenarbeit im Prinzip eine rein intrinsische Motivation voraus. Das heisst, dass für die Spende kein Gegenwert erwartet wird. Diese Haltung existiert aber selten in Reinform. Streng genommen kann man nicht von einer Spende reden, wenn diese von den Steuern abgezogen wird oder wenn sie eine Art Versicherung mit einer potenziellen Win-win-Situation darstellt, wie dies bei den Beiträgen an die Rega oder an die Paraplegiker-Stiftung der Fall ist. Auch Mitgliederbeiträge an Vereine sind keine wirklichen Spenden, selbst wenn man sie in der Steuererklärung als solche deklarieren darf. Dennoch sind diese Gaben selbstverständlich gemeinnützig und notwendig, sinn- und wertvoll.[nbsp]
Zauberwort Wirksamkeit
Ob und was Geldspenden tatsächlich bewirken, kann man als Laie nur schwer prüfen. Das Gütesiegel der ZEWO, die 1934 von der SGG gegründet wurde, sowie die veröffentlichten Zahlen und Fakten in den Jahresberichten der Hilfswerke vermitteln zweifellos Vertrauen in die Wirksamkeit des gespendeten Geldes. Letztlich ist die Wirksamkeit von Organisationen und Projekten aber nicht voll quantifizierbar und in Zahlen auszudrücken. Aber genau dies fordern die sogenannten «effektiven Altruisten». Für sie ist es beispielsweise wirksamer, mit einer bestimmten Geldsumme 50 Kindern in einem afrikanischen Land AIDS-Medikamente oder Computer zu kaufen als in der Schweiz eine Hüft- oder Lungenoperation durchzuführen. So betrachtet, dürfte man gar keine inländischen Projekte mehr unterstützen. Die Wirksamkeit misst sich jedoch an einer Vielzahl von Kriterien, vor allem an den sinnvollen Zielen, die am Anfang und am Ende von Projekten stehen.[nbsp]
Spenderland Schweiz
Im internationalen Vergleich steht die Schweiz mit 71 Spendern auf 100 Personen über 15 Jahren gut da, auch wenn vor zehn Jahren noch 77 Personen Geld für gute Zwecke spendeten. Im Jahr 2015 spendeten Frau und Herr Schweizer die Rekordsumme von 1,8 Milliarden Franken. Das sind über 100 Millionen mehr als im Vorjahr und 800 Millionen mehr als vor zehn Jahren. Nur die Holländer (85%) sind spendenfreudiger als die Schweizer, während die Briten (55%), Franzosen (49%), Deutschen (33%), Italiener (30%) und Spanier (19%) weniger oft Geld spenden. Das tiefere Niveau in diesen Ländern liegt einerseits daran, dass dort der Staat Aufgaben übernimmt, die in den Niederlanden und in der Schweiz von zivilgesellschaftlichen Organisationen verantwortet werden. Und andererseits ist die innerfamiliäre Unterstützung vor allem in den südlichen Ländern Europas höher als in der Schweiz.
Spenden-Hitliste
Die Palette von beschenkten Institutionen und Non-profit-Organisationen im In- und Ausland ist so breit wie jene der Spendermotive. Die 1,8 Milliarden helvetischer Spenderfranken flossen im vergangenen Jahr an Menschen mit einer Behinderung, in die Entwicklungshilfe im Ausland, an Armutsbetroffene im Inland, an Kinder und Jugendliche, in den Natur-, Umwelt- und Alpenschutz, in Bildung und Forschung, in die Katastrophenhilfe, an Kirchen und Frauenprojekte, in die Gewaltprävention und Opferhilfe, in den Tierschutz, in Kultur und Kunst, an Sportvereine und -events, an Asyl- und Menschenrechtsorganisationen, in die Betreuung und Pflege von Senioren und Betagten, an politische Parteien sowie in die Krankheits- und Suchtbekämpfung. In manchen Bereichen haben die Spenden in den letzten Jahren eher zugenommen (Krankheitsbekämpfung und Tiere), in anderen Bereichen gingen die Spenden deutlich zurück (Armut, Umwelt, Kirchen). In einzelnen Jahren können Naturkatastrophen im Inland (z.B. Sturm Lothar) oder im Ausland (Tsunami in Asien, Erdbeben in Haiti) das Spendenverhalten deutlich beeinflussen. Am häufigsten spenden Deutschschweizer für Menschen mit Behinderung, für Kinder und Jugendliche sowie für Sozial- und Nothilfe. In der italienischen Schweiz liegen Krankheitsforschung, Sozial- und Nothilfe sowie Katastrophenhilfe vor Kindern bzw. Umwelt- und Tierschutz. Und in der Romandie wird vor allem für Menschen mit Behinderung und für die Krankheitsforschung gespendet.
Top-Spenderin: ältere, gebildete, kinderlose, linke, protestantische Thurgauerin
Am meisten Personen (37%) spenden jährlich zwischen 100 und 300 Franken. Spenden werden je nach soziodemografischen Faktoren sehr unterschiedlich getätigt. Während die Quote der Spenderinnen in den letzten 10 Jahren praktisch konstant geblieben ist (75%), ging die Anzahl der männlichen Spender um 10 Prozentpunkte auf 67% zurück. Noch deutlicher sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezüglich Alter. Bei den 15 bis 19-Jährigen spenden 53% Frauen und nur 41% Männer. Bei den über 80-Jährigen spenden 87% der Frauen und 73% der Männer. Bei der jüngeren Generation hat die Spendenbereitschaft in den letzten 10 Jahren massiv abgenommen, bei den 15 bis 19-Jährigen von 47 auf 31 Prozent, bei den 20 bis 39-Jährigen von 73 auf 61 Prozent. Rentnerinnen und Rentner spenden nicht nur öfters als alle anderen Altersklassen, sondern sie treten auch höhere Beträge ab. Bezüglich Bildungsniveau spenden Personen mit höherer Bildung signifikant mehr (80%) als Personen ohne höheren Schulabschluss (50%). Vor allem bei Männern mit niedrigem Bildungsniveau sank die Spendenbereitschaft in den letzten 10 Jahren von 58% auf heute 40%. Und von diesen spendet nahezu die Hälfte weniger als 100 Franken pro Jahr. Die Tatsache, dass Teilzeit-Erwerbstätige häufiger Geld spenden als Vollzeitbeschäftigte, zeigt auf, dass die Spendentätigkeit mehr von der Höhe der Bildung als von der Höhe des Einkommens abhängt. Der Grund für dieses Phänomen liegt auch darin, dass mehr Frauen als Männer einer teilzeitlichen Erwerbsarbeit nachgehen. Bezüglich Zivilstand und Familiensituation spenden Verheiratete und Verwitwete eher als Ledige. Und Kinderlose in Ein- und Zweipersonenhaushalten spenden signifikant häufiger als Personen in grösseren Haushalten. Protestanten spenden eher als Katholiken. Und diese spenden eher als Konfessionslose. Gleichzeitig nahm die Spendenfreudigkeit der Protestanten und der Katholiken in den letzten 10 Jahren um 4-5 Prozentpunkte ab (von 81% auf 77% bzw. von 76% auf 71%), während sie bei den Konfessionslosen konstant bei 68% blieb. Die Spendenfreudigkeit von Personen auf dem Land hat in den letzten fünf Jahren abgenommen (von 77% auf 70%) und ist heute gleich hoch wie bei den Personen in den Städten und Agglomerationen. Auch die Sprachregionen näherten sich bezüglich Spendenverhalten in den letzten Jahren stärker an. Während der Unterschied zwischen den spendablen Deutschschweizern und den Spendern aus der lateinischen Schweiz im Jahr 2009 noch 10% betrug, ist er 2014 auf 3% geschrumpft. Die Unterschiede sind jedoch kantonal noch immer sehr verschieden. Während im urbanen Kanton Genf 52% der Personen Geld spenden, sind es im ländlichen Thurgau 89%. Schliesslich ist auch die politisch-ideologische Grundhaltung relevant für die Spendentätigkeit. Personen, die sich auf dem linken politischen Spektrum einordnen, stellen deutlich häufiger einen Teil ihres Einkommens für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung als Personen im rechten Lager. Dieses Phänomen ist vor allem bei Frauen der Romandie und im Tessin ausgeprägt.
Umkämpfter Spendenmarkt
«Gutes tun und darüber reden» lautet die Devise der Hilfswerke und Non-profit-Organisationen. Um sich auf dem Spendenmarkt tatsächlich Gehör zu verschaffen, müssen sie heute sehr laut reden. In der Regel fliesst jeder fünfte Spendenfranken ins Spenden-Marketing. Und die Hilfswerke blicken jeweils wenig amused auf die von Fernseh- und Radiogebühren bezahlten Sammelaktionen der Glückskette, vor allem die Aktion jeder Rappen zählt im Sammelmonat Dezember erleben sie als unnötige Konkurrenz. Die Glückskette sammelt auf allen Kanälen vor allem dann, wenn Katastrophen wüten. Beim Tsunami nahm die Glückkette innert einer Woche 226 Millionen Franken ein. Die Fundraising-Methoden der Hilfswerke werden wegen der wachsenden Konkurrenzierung immer aggressiver und aufwändiger. Studierende versuchen in Strassen- und Telefonakquisitionen wehrschwache Menschen zu Spenden zu überreden. Kinder verkaufen auf der Strasse Abzeichen und Schoggitaler, die mehr aus Mitleid mit den Kindern und weniger aus Identifikation mit dem Sammelzweck gekauft werden. Besonders aggressiv treten die internationalen Hilfswerke auf, die mit Kulleraugen und Kinderzeichnungen auf den Plakaten für Kinderpatenschaften in Afrika, Asien oder Südamerika werben. ZEWO weigert sich, solche Hilfswerke zu zertifizieren.[nbsp]
Mit warmen Händen geben
Die Königsdisziplin des Fundraising ist das Legate-Marketing. Seine Kunst besteht darin, eine Erbschaft zu bekommen, ohne in den Ruch der Erbschleicherei zu gelangen. Von den 750 Milliarden Franken Privatvermögen, die in der Schweiz lagern, werden jedes Jahr zwischen 20 und 30 Milliarden Franken vererbt. Davon gehen etwa 150 Millionen als Legate an gemeinnützige Organisationen. Manche Reiche gründen auch eigene Stiftungen oder richten bei gemeinnützigen Organisationen spezielle Fonds ein, welche ihr Vermächtnis über den Tod hinaus für klar definierte Zwecke einsetzt. Taktisch geschickt werben Hilfswerke und NPOs nicht direkt für Legate, sondern weisen auf die Wichtigkeit von Testamenten hin. Die Botschaft lautet: Wer kein Testament hinterlässt, verteilt sein Vermögen nicht nach seinem eigenen Willen. Nur ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer verfasst zu Lebzeiten ein Testament. Mit Inseraten und persönlich adressierten Werbebriefen fordern Hilfswerke darum zum Bestellen von Testament-Ratgebern auf. [nbsp]Pro Infirmis versandte Tausende von Testament-Ratgebern und führt regelmässig Informationsveranstaltungen zum Thema «Testament und Vermächtnis» durch. Jährlich fliessen so 3-6 Millionen Franken an die Behindertenorganisation. Nachdem WWF mit der Legate-Werbung in Altersheimen scheiterte, weil dort bereits alle mit einem Testament eintreten, fokussieren sie sich nun auf die Zielgruppe der kinderlosen Singles und Paare sowie auf Immobilienbesitzer und Witwen. Seit einigen Jahren werben 16 gemeinnützige Organisationen gemeinsam um Legate. Die Kampagne «My happy end» beinhaltet unter anderem einen TV-Spot von einer Beerdigung, zu der all jene kommen, die im Testament begünstigt wurden: vom Rettungshelikopter über exotisch gewandete Leute bis zu einer Herde Elefanten.[nbsp]
Spenden matchen
Manche Vertreterinnen und Mitarbeiter von Non-profit-Organisationen im sozialen, karitativen oder künstlerischen Bereich träumen davon, mal nicht mehr um Geld betteln zu müssen. Oder sie träumen gar davon, mal auf der anderen Seite zu stehen und öffentliche Beiträge oder Stiftungsgelder verteilen zu können. Doch Bundes- und Kantonsvertreter, Stiftungsmitarbeiterinnen und begüterte Einzelpersonen sind auf der anderen Seite auch nicht zu beneiden. Die sinnvolle, gerechte und wirksame Förderung von Organisationen und Projekten ist mindestens so anspruchsvoll und schwierig wie das Klinkenputzen und Verfassen von Bettelbriefen. Rein technisch-mathematisch betrachtet, wäre es am sinnvollsten und effizientesten, wenn Geldspendende und Geldsuchende auf einer Webseite automatisch miteinander gematcht würden.
Das Portal www.stiftungschweiz.ch ist ein guter Anfang. Wünschenswert wäre auch, dass das Eidgenössische Stiftungsverzeichnis mehr Informationen liefert über die Verwendungszwecke und Beitragshöhen der Förderstiftungen. Dieser Tag ist aber in weiter Ferne. Darum müssen sich Spendende weiterhin in ihrer Kunst des sinnvollen Spendens üben und NPOs ihre Kunst des Fundraising weiter verfeinern.
Lukas Niederberger